Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Wir haben keine zweite Welt im Kofferraum

Mit dem Aufkommen der islamistischen Selbst-Mord-Attentäter in aller Welt stellt sich vielleicht die Frage, ob sich diese nicht  mit dem positiv konnotierten Begriff des „Märtyrers“, den wir zumindest im judäo-christlichen Kulturkreis mit dem Christentum verbinden, zu Unrecht schmücken. Auch der Islam kennt den Begriff des "Märtyrers", dessen Bedeutung aber weiter gefasst ist. So sind Männer, die im  Kampf, aber auch Frauen, die bei der Geburt sterben, Märtyrer. Auch Muslime, die für ihr Gewissen sterben, gelten als Märtyrer. Selbstmordanschläge verbunden mit Massenmord findet sich aber nicht im Kanon der muslimischen Märtyrerschaft.

Märtyrer im Christentum

Die Frühzeit des Christentums kennt viele echte Märtyrer, bevor es selbst Staatsreligion wurde. Diese christliche Blutzeugen (griech.: μαρτύριον - martýrion = Zeugnis) sollten nicht als Suizidanten begriffen werden, denn sie haben den Tod ja nicht gesucht, sondern Leiden und Tod nur als letzte Konsequenz für ihren Glauben hingenommen und ertragen. Sie ließen sich wehrlos töten oder ermorden und haben anderen dadurch selbst keinerlei Leid zugefügt. Sie wollten nicht sterben, sondern sie mussten. So konnte das christliche Märtyrertum von den Kirchenlehrern hoch bewertet und von den Gläubigen verehrt werden.

Als Märtyrer verehrt die katholische Kirche auch Gläubige, die sich freiwillig in Gefahr begaben, für ihren Glauben hingerichtet zu werden und dabei umkamen. So waren besonders Mitglieder des Mercedarier-Ordens gefährdet, die sich im 13. Jahrhundert dem Freikauf von christlichen Slaven der Moslems in Andalusien und Nordafrika verpflichtet sahen. Ihre vierte Ordensregel (neben Gehorsam, Armut und Keuschheit) besagte, dass sie selbst zum Gefangenenaustausch bereit sein sollten, wenn kein Lösegeld aufzutreiben war und die Gefahr bestand, dass der christliche Sklave  unter Folter zum Islam konvertieren würde. Tausende von Sklaven wurden losgekauft, manchmal auch der Mönch, der sich hatte austauschen lassen. Der erste Märtyrer des Ordens wurde 1240 der später heiliggesprochene Mönch Sarapion, weil der Orden nicht schnell genug das vom Sultan von Algier, Selin Benimarin, geforderte Lösegeld herbeischaffen hatte können. Der Mercedarier Raimund Nonnatus, Schutzpatron der Hebammen, wurde in der muslimischen Gefangenschaft so gefoltert, dass er 1240 an den Spätfolgen ein Jahr später starb und als Märtyrer heiliggesprochen wurde.[1]

Es gibt allerdings auch einige Fälle, bei denen sich Christen tatsächlich selbst opferten und z.B. autothysisch (selbstopfernd) in den Scheiterhaufen sprangen, wie Agathonike. Sie riss sich um 165 n.Chr. beim Märtyrertod ihres Bruders, des Hl. Karpos und seiner 44 Gefährten, mit dem Ruf „Dies Mahl ist auch für mich bereitet!“ die Kleider vom Leibe und folgte ihm in die Todesflammen.  Kaum hatte die Christenverfolgung des Diokletian (~240 – ~312 n.Chr.) begonnen, soll im Jahre 304 ein männlicher Christ namens Euplus vor dem Palast eines römischen Provinzstatthalters in Sizilien mit dem Ruf aufgetaucht sein: „Ich will sterben, denn ich bin ein Christ!“ Ähnliche Vorkommnisse soll es etwa zur gleichen Zeit in Oberägypten gegeben haben, wie der Kirchenhistoriker Eusebius von Caesarea (ca. 260 – 340) berichtet. Wurde ein Christ zum Tode verurteilt, reihten sich mehrere Mit-Christen vor dem Gericht auf und bekannten, ebenfalls Christ zu sein.  Die Verurteilten und Getöteten seien in „massive numbers“ solche Selbstankläger gewesen (Bowersock, 1997, S.3). Kaiser Marc Aurel hat diese todessüchtigen christlichen Märtyrern kritisiert. Ihre religiöse Todessehnsucht, die nicht nur aus der als nachahmenswert empfundenen Passion Christi, sondern auch aus der vorchristlichen Einstellung zum heldischen „Roman death“ gespeist, war auch den christlichen Kirchenlehrern selbst suspekt. Sie lehnten diesen provozierten Tod im Märtyrertum eigentlich ab, mochten ihn aber nicht direkt verdammen, da er trotzdem für den christlichen Glauben geschehen war.

Gotteskrieger

Neben den heutigen islamistischer Attentaten etwa auf den Boston Marathon (2013) oder das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi (2013) sind die zahlenmäßig zwar deutlich geringeren, emotional wegen der hohen Personenschäden jedoch besonders bedrückenden sog. „Selbst-Mord-Attentate“ salafistischer Terroristen (suicide bomber)  aktuelle Beispiele für Autothanasie. Solche medial mächtig in Szene gesetzte scheinbaren Opfertode dienen in der asymmetrischen Kriegsführung letztlich der „Proliferation politischer Gewalt“ (Schüller, 2010, S. 92). Einerseits richten sie sich mit dem werbenden Fanal an die eigene muslimische  In-Group, andererseits  wollen sie gegenüber der westlichen (christlich-jüdischen) Out-Group der „Kreuzritter“[2] die moralische Überlegenheit der „Gotteskrieger“ und der dahinterliegenden Ideologie demonstrieren. Denn, wie es der Begründer der Muslimbruderschaft Hasan al-Bannā (1906 – 1949) formulierte, nur so bestünde die Hoffnung auf einen Sieg über die Unterdrückung der Kreuzritter: „Vor fester Moral, Glauben und Überzeugung bricht die Macht der Unterdrücker zusammen“.[3] Weiter soll der westliche Gegner durch die Selbst-Mord-Attentate bestraft, verunsichert und ihm seine (scheinbare) Machtlosigkeit durch die heroischen Tat eines von Allah geschützten und geleiteten „Gotteskriegers“ schmerzhaft vor Augen geführt werden. Der Begriff des Gotteskriegers konnte 2001 zurecht zum Unwort des Jahres avancieren,  weil er jede Distanz zum pseudoreligiösen Gebrauch primär durch Islamisten vermissen lässt.

Bei den Selbst-Mord-Attentaten  sprengen sich die Täter mit den Opfern gemeinsam in die Luft oder sie begehen nach einem Fehlschlag eindeutig Suizid, etwa durch sich Erschießen.  Im Falle, dass sie fliehen können, sich evtl. ein Gefecht mit den Einsatzkräften der Polizei liefern und dabei erschossen oder getötet werden, wird offen bleiben müssen, ob es sich hier eher um einen unerwünschten Tod oder wahrscheinlich doch um ein suicide by cop handelt. Vermehrt tauchen auch Frauen als Attentäter auf, etwa die  tschetschenischen „Schwarzen Witwen“. Bei Frauen, Jugendlichen oder von geistig behinderten Sprengstoffgürtelträgern, wo das Opfer per Zeit- oder Fernzündung in die Luft gejagt wird, wird man eher von einem geschickt inszenierten Mord als von einem autonomen Suizid ausgehen müssen – sonst wäre kein Zeit- oder Fernzünder vonnöten. 

Assassinen

Als edles historisches Vorbild könnten die legendenumwobenen Assassinen, die schiitisch-ismailitischen Splittergruppe der Nizariten  im Gebiet des Irans und Syriens angesehen werden, die tatsächlich ab etwa 1100 den Meuchelmord an weltlichen und geistigen Autoritäten des politischen Gegners im Rahmen einer psychologischen Kriegsführung  pflegten. Dies konnte auch ein christlicher Herrscher der Kreuzfahrerstaaten wie Raimund von Antiochia (+1213) oder der kurzzeitige König von Jerusalem, Markgraf Konrad von Montferrat (+1192) sein (Halm, 2017).  

Weil es auch zu Auftragsmorden kam, bezahlt durch konkurrierende Herrscher wie vermutlich auch durch Richard Löwenherz, übertrug sich der Name der Assassinen in mehreren Sprachen wie Englisch oder Französisch auf die Tat. Assassination bzw. assassinat bedeutet hier Attentat, Meuchelmord oder Mordanschlag. Im Italienischen bedeutet assassino sogar nur noch „Mörder“; ein Meuchelmörder dagegen wäre ein assassino a tradimento. Im Deutschen bleibt für den Assassinaten nur der erklärende Begriff des Selbstmordattentäters, übrigens nicht ganz zutreffend, da „Attentat“ von Lateinisch/ Französisch eigentlich der Mordversuch bedeutet, heißt doch lat.: attentatum = das Versuchte.  

Der heute geplante Suizid  und der Massenmord an Unbeteiligten der islamistischen Selbst-Mord-Attentäter kann nur bedingt als ein Erbe der muslimischen Assassinen gelten. In der Art der psychologischen Kriegsführung in einem asymmetrischen Konflikt verläuft zwar durchaus eine deutliche Verbindungslinie zu den heutigen Selbst-Mord-Attentätern. Auch die Strategien der maximalen Öffentlichkeit, des Einsetzens von Schläfern unter der gegnerischen Bevölkerung und die Übernahme der Verantwortung aller möglicher Morde bei des Assassinen  finden wir heute bei islamistischen Attentaten und Selbst-Mord-Attentaten. Andere Merkmale der Assassinen-Morde finden sich bei den heutigen islamistischen Selbst-Mord-Attentätern dagegen nicht. Die Assassinen hatten grundsätzlich mit dem Dolch in aller Öffentlichkeit und am Tag gemordet. Ähnlich wie links-terroristische Gruppierungen war das Ziel ein Mitglied der herrschenden Klasse, bevorzugt der Herrscher selbst. Aus Sicht der Assassinen ließe sich auch vom Tyrannenmord sprechen. Anschließend hatte der Meuchelmörder zu fliehen versucht, was kaum gelingen konnte, da den Herrschenden immer eine Leibwache zur Verfügung stand. Assassinen nahmen also zwar ihren eigenen Tod in Kauf, planten ihn aber nicht ein. Stets war der verhasste Herrscher das Ziel, nie eine unschuldige Menschenmasse (Halm, 2017).

Akzeptanz der Terrorattentate

Jörg Fisch, bis 2012 Ordinarius für Neuere Geschichte an der Universität Zürich, verritt eine klare Position: Selbstmordattentäter seien keine Selbstmörder, sondern Mörder oder gar Massenmörder, die ihr eigenes Leben zur Waffe machen, was keine Stärke bewiese. „Terroristische Attentate sind zwar ausgeprägte Formen der asymmetrischen Kriegführung. Aber am Ende sind auch sie von den militärischen Kräfteverhältnissen abhängig. Der dauerhafte Sieg der bloß mit ihrem Körper als Waffe Kämpfenden gedeiht bestenfalls im Mythos“ (Fisch, 2017).[4]

Dieser Mythos findet längst nicht überall in der muslimischen Gemeinde Nahrung und Unterstützung. Die Akzeptanz der Terrorattentate gegen Zivilisten ist in den einzelnen muslimischen Ländern unterschiedlich und nicht durchgängig hoch. Nach Befragungen des PWE-Instituts aus Washington/DC hielten in den Jahren 2011/ 2012 unter der muslimischen Bevölkerung verschiedener Länder „Suicide bombing“ gegen Zivilisten für gerechtfertigt: in Bosnien-Herzegowina 3%, Irak und Indonesien 7%, Tunesien 12%, Afghanistan 39% und Palästina 40% (ausgewählte Länder).[5]

Nur wenige muslimische Lehrmeinungen haben einer rechtfertigenden Auffassung des „Märtyrer“-Todes widersprochen, etwa der Großmufti von Saudi Arabien, Abdullah Al asch-Schaich, der die Selbst-Mord-Attentate gegen Zivilisten als unislamisch und Terrorismus bezeichnete. Yusuf al-Qaradawi, Vordenker der Muslimbrüderschaft, und andere dagegen halten Selbst-Mord-Attentate zwar nicht generell, aber mindestens gegen Israelis für „haram“, also für notwendig und gerechtfertigt.[6]

Der Qu'ran zum Suizid

Für die Frage der islamischen Definition eines Selbst-Mord-Attentats muss der Qu’ran herangezogen werden. Dort findet sich keinerlei Definition oder Legitimation für einen Selbst-Mord-Anschlag. Das wichtigste heranzuziehende Gebot in Sure 4:29 lautet in wörtlicher Übersetzung: „Und tötet nicht euch euer selbst“. Damit ist wohl das Töten untereinander, als auch die Selbsttötung gemeint. Die Mehrheit muslimischer Theologen zählt den Terror-Tod nicht zum Suizid (intiḥār), denn diesen lehnen, wo der Qu’ran noch mehrdeutig bleibt, die Sunna[7], d.h. Sirah[8] und Hadithe[9], eindeutig und scharf ab. Ein Selbstmörder wird nach der Shari‘a[10] des Islam zum Ungläubigen (kāfir) und muss als Strafe ewig im Höllenfeuer „schmoren“.

Deswegen versuchen viele Apologeten genau den Eindruck des Massenmords oder gar  des Suizids zu vermeiden und mit Nachdruck das Märtyrertum herbeizureden: „Several specialists in Islamic law (Shari'a), consider that martyrdom is legitimate and does not count as suicide of any kind” (Abdel-Khalek, 2010). Das arabische Wort schahid“  (Märtyrer) entspricht dabei genau der griechischen Bedeutung  „Zeuge, Zeugnis ablegen“. Als schahid gilt, wer sein Leben im Kampf gegen die Ungläubigen oder auch gegen das Böse für eine höhere Sache opfert; konsequenter Weise zählen dazu dann auch die Suizid-Attentäter. Ihr Opfertod „auf dem Wege Gottes“ (jihad) wird als Ausdruck der Verteidigung der unterdrückten muslimischen Gemeinschaft (umma) hoch bewertet. Manchmal werden schon Kinder daraufhin orientiert oder im Kindergarten gedrillt. „Im Kampfanzug, der Kufiya[11] um den Hals und einer Kalaschnikow-Attrappe in der Hand, so traten Dutzende Kinder bei einem Kinderfest zum Jahresende 2015 im Hamas-regierten Gaza-Streifen auf“ (Katholisches Magazin, laut Mimri-TV, 2015)[12].

Im bildstarken Begriff „Selbstmord-Attentäter“  steckt der von uns in der Alltagssprache und in Medien ohne Bewusstsein völlig übernommene Fokus des islamistischen Terrors, der den Blickwinkel heroisch auf den schuldigen Täter und nicht auf die unschuldigen Opfer lenkt. Solange wir den Ausdruck „Selbstmordattentäter“ verwenden, fokussieren wir uns auf die, „die andere in den Tod  schicken und selbst am Leben bleiben“ (Takeda, 2012, S. 117ff). Wir sagen z.B. nicht „Auftrags-Attentat“. In dieser Sichtweise verschwimmt dann der Begriff des Täters und es gibt verwirrender Weise nur noch Opfer. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich bei einigen der Selbst-Mord-Attentäter eine Art religiös motiviertes Helfer-Syndrom bemerkbar macht, wodurch der Täter-Charakter wieder in den Vordergrund geriete.

Opfer-Attentate? Arata Takeda hat deshalb darauf hingewiesen, dass solche Terroranschläge nicht als Selbstmordattentate, sondern grundsätzlich als „Opfer-Attentat“ zu bezeichnen wären, handelt es sich bei diesen Anschlägen doch eigentlich um Menschenopfer (Takeda, 2012), (à 9.). Da aber Menschenopfer, im eigenen Kulturraum durchgeführt, immer ein Ausdruck der geltenden Sitte sind, also auch ein gewisses Einverständnis des Opfer voraussetzen, scheint mir der Begriff Menschenopfer hier nicht angebracht zu sein, da keinerlei kulturelle Einbettung und Einverständnis der Opfer vorliegen. Auch steckt im Begriff „Opfer-Attentat“ eine Tautologie, da Attentate immer Opfer hervorbringen. Vielleicht wäre es deshalb im Prinzip sinnvoller bei unserem deutschen Begriff  „Selbstmordattentat“ zu bleiben, ihn aber anders zu schreiben: Selbst-Mord-Attentat. Damit wäre einmal die im Islam verbotene Selbst-Tötung (Suizid), zum andern auch der Massen-Mord an wehrlosen Opfern eines Selbst-Mord-Attentäters aufgegriffen.

Von islamistischer Seite aus wird der Opfertod der Kämpfer im Selbst-Mord-Attentat dann mit großem Pomp und Pathos als Helden- oder Märtyrer-Tod präsentiert, die Helden als Märtyrer ((šahīd, Plural: šuhadā)) ikonisiert  und hagiographisch verehrt. Das umschließt auch eine nach außen gerichtete, z.B. gegenüber der Presse, stoische Haltung und scheinbar herzlose Verteidigung von Märtyrer-Angehörigen. Die Tränen der Trauer sind nicht für die Kameras bestimmt, sie bleiben der Nacht vorbehalten. Auch sollen die Tränen z.B. in Palästina oft zynisch mit tausenden Dollars an Unterstützung bzw. gestaffelten Geldprämien für die Hinterbliebenen getrocknet werden.

Fleisch aus ihrem Fleische

Insgesamt trägt damit die muslimische Gemeinschaft und Lehre wesentliche Mitverantwortung an den Selbst-Mord-Attentaten, selbst wenn es sie im innerislamischen Richtungskampf am meisten trifft. Ein Selbst-Mord-Attentäter ist kein bloßer individueller Ausrutscher, sondern ein struktureller Fehler im System; ein Problem in Theorie und Praxis eines Glaubens, der ein problematisches oder sogar affirmatives Verhältnis zur Gewalt hat. Mohammed selbst war in späterer Zeit durchaus ein fanatischer Kriegsherr und Gewaltherrscher, etwa wenn er 600 Juden an einem einzigen Tag enthaupten ließ oder in seinen zahlreichen Kriegszügen gegen die ungläubigen Mekkaner. Und als 53-Jähriger ein sechsjähriges Mädchen zu heiraten und mit der puppenspielenden Aischa  im Alter von neun Jahren „die Ehe zu vollziehen“, wird  als Akt sexueller Gewalt kaum als Vorbild dienen, insbesondere auch, weil der Qu’ran ausdrücklich die Ehe und damit auch den Geschlechtsverkehr mit Mädchen, die noch nicht menstruieren, en passant begrüßt. In Sure 65:4 wird die dreimonatige Wartezeit bis zur Scheidung ausdrücklich auch für Ehefrauen, „die ihres jugendlichen Alters wegen noch keine Menstruation gehabt haben“ erlaubt.

Militärische Gewaltexzesse lassen sich auch auf anderer Seite beobachten. Karl der Große etwa ließ zumindest der Legende nach 782 bei Verden an der Aller 4.500 „ungläubige“ Sachsen hinrichten. Die größte Massenhinrichtung der US-Geschichte 1862 in Mankato weist 38 Sioux-Gefangene auf. Im Warschauer Ghetto kam es zu Massenhinrichtungen von 10.000en durch die Deutschen, die von der schwierig einzuschätzenden Höhe her  etwa den Hinrichtungszahlen durch Khomeni im modernen Iran entsprochen haben. Die Gewalt, die zumeist im Alten Testament der Bibel erscheint, soll hier nur angemerkt, aber nicht weiter berücksichtigt werden. Das Neue Testament, die wesentliche Lehre der Christen, kommt dagegen mit äußert geringen Gewaltäußerungen aus und die Person Christi kann als gewaltfrei verstanden werden. Die vielzitierte Stelle bei Matthäus 10, 34: „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert!“ bedarf der Auslegung. Die Übersetzung der Metapher „Schwert“ muss „Spaltung“  oder „Streit“ lauten, der Zustand, der in der Nachfolge Christi auftreten kann. 

Im Qu’ran finden sich dagegen sehr viele gewalttätige Suren, die sicher auch die gewaltigen Kriegszüge Mohammeds legitimierten sollen. Doch vor dem Kampf wird der Ungläubige zuerst zum (ekelhaften) Tier erniedrigt, das getötet werden darf und muss, eine Strategie, die bis heute weite Verbreitung fand, wenn Menschen als „Ratten“, „Bestien“, „Schmeißfliegen“, „Kakerlaken“ und „Zecken“ entmenschlicht werden oder Grenzverletzer als „Tiere“ bezeichnet werden. So US-Präsident Donald Trump am 17.5.2018 über herannahende Zuwanderer aus Mexiko: „Man kann gar nicht glauben, wie schlimm diese Menschen sind, das sind keine Menschen, das sind Tiere".[13] Ähnlich heißt es in Sure

8:55:Als die schlimmsten Tiere gelten bei Allah diejenigen, die ungläubig sind und (auch) nicht glauben werden“.
          Solche „Tiere“ waren zu verjagen, zu verstümmeln, totzuschlagen oder zu kreuzigen. Andere Suren fordern direkt zur Gewalt auf:

5:33: Der Lohn derer, die gegen Allah und Seinen Gesandten Krieg führen und Verderben im Lande zu erregen trachten, soll sein, dass sie getötet oder gekreuzigt werden oder dass ihnen Hände und Füße wechselweise abgeschlagen werden oder dass sie aus dem Lande vertrieben werden.

8:12: Haut den Ungläubigen mit dem Schwert auf den Nacken und schlagt zu auf jeden Finger von ihnen.

8:39: Und kämpfet wider sie, bis kein Bürgerkrieg mehr ist und bis alles an Allah glaubt.

9:5:Sind die heiligen Monate abgelaufen, dann tötet die Götzendiener, wo immer ihr sie findet, ergreift sie, belagert sie, und lauert ihnen auf aus jedem Hinterhalt.

Nun hält der Qu’ran zwar auch andere Verse bereit, friedliche, doch die meist frühen Verse des Friedens aus Mekka können nicht die späten Verse der Gewalt aus Medina  wirkungslos machen. Durch das islamische Prinzip der „Abrogation“, der Aufhebung älterer Gebote durch jüngere, werden die friedlichen alten Verse durch die neueren gewalttätigen überholt.

Der widersprüchliche Qu’ran bietet sich geradezu an, aus ihm Gewalt und „Märtyrertum“ herauslesen zu können, wie es etwa der IS oder salafistische, dem Jihad verpflichtete Gruppen tun. Und dann ist es nicht mehr weit bis zu dem kritischen und selektiven Kommentar etwa des byzantinischen Kaisers Manuel II. (1350 – 1425), den Papst Benedikt XVI. 2006 unter heftigen Protesten zitiert hatte: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.”

Ein friedlicher Qu'ran?

Der Qu’ran und der Prophet Mohammed lassen sich weiterhin selektiv als „friedlich“ interpretieren, indem die gewalttätigen Stellen etwa durch Kontextualisierung, Neuübersetzung von problematischen Begriffen oder durch das Prinzip der Abrogation durch jüngere Textstellen entschärft oder im Sinne der taqiyya[14]sogar geleugnetwerden: „Der Islam versteht sich als ein Weg der Glückseligkeit: Seine Ethik mit allen Tugenden, die uns seit der Antike bekannt sind, besteht darin, das mittlere Maß zu halten, jenes zwischen zwei Extremen, Übermaß und Mangel. Der Islam als Religion bewegt Muslime dazu, «Frieden zu stiften zwischen den Menschen» (Koran 2,224). Dafür begreift sich der Koran als Rechtleitung und der Prophet Muhammad als Vorbild“, so im Jahr 2015 Ahmad Milad Karimi, Professor für islamische Theologie in Münster.[15]

Unkritisch gelesen gliche die Lehre Mohammeds dagegen einem Tarot-Kartenspiel mit überraschend guten und bösen Karten, formuliert es der selbst von muslimischer Gewalt bedrohte und unter deutschem Polizeischutz stehender Ex-Muslimbruder und Islamkritiker Hamed Abdel-Samad (Abdel-Samad, 2017). Der türkischstämmige Journalist Deniz Yücel bezeichnet die Unschärfe des Qu’ran als „Suren-Bingo für Fortgeschrittene“: „Was immer Sie über den Islam sagen wollen, Sie werden im Koran die passende Stelle finden. […] Der Islam ist weder eine friedliche noch eine kriegerische Religion. Der Islam ist die Summe dessen, was die Gläubigen daraus machen“.[16]

Um eine gewalttätige Leseweise zu unterbinden, müsste und muss der Qu’ran als immer wieder neu zu interpretierender Textkorpus verstanden werden und nicht als unabänderliches Wort Gottes. Alle bisherigen, auch frühe innerislamische Konzepte in dieser Richtung, wie sie heute etwa der deutsche Hochschullehrer Mouhanad Khorchide (2015),  der türkische Theologe Yaşar Nuri Öztürk oder die „St. Petersburg Declaration“ (USA, 2007) vertreten, müssen bisher noch als wohlmeinende Versuche eingeordnet werden, weil sie von den herrschenden Lehren als nicht mit dem Islam vereinbar eingestuft werden und damit keine breite Akzeptanz unter muslimischen Theologen und Gläubigen gefunden haben. Unter den muslimischen Predigern hat sich noch kein Martin Luther mit einer äußerst breiten Anhängerschaft etablieren können.  Erfolglose Prediger wie Thomas Müntzer dagegen schon.

Breite Akzeptanz dagegen finden bei simplen und fanatisierten „Rechtgläubigen“ auch in westliche Ländern tödliche Fatwas[17] von ehrenhaften, anerkannten muslimischen Autoritäten oder Lehrern sowohl der Sunniten als auch der Schiiten, die zur Gewalt gegen Kritiker des Islam aufrufen. Solche Fatwas sollen respektlos selbst in Ländern gelten, die keine Shari‘ah[18] kennen. Teuer bezahlte Personenschützer müssen deshalb bei uns seit vielen Jahren Islamkritikern wie dem Schriftsteller Salman Rushdie, dem dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard oder dem deutschen Politologe und Autor  Hamed Abdel-Samad ein unstetes und belastendes  Überleben im Geheimen sichern.

Zur psychologischen Situation

Auf welche psychologische Situation stößt das Angebot der In-Group, der Ideologen oder der Drahtzieher beim einzelnen Selbst-Mord-Attentäter? Es handelt sich bei allen Selbst-Mord-Attentaten um eine frustrierte Reaktion auf die  derzeitige, als zutiefst ungerecht erlebte politischen Situation der vermeintlichen Ohnmacht und Schwäche des Islam, die als demütigend erlebt wird und extrem starke Gefühle auslöst. Es gilt die Ehre wieder herzustellen – vielleicht der zentrale Komplex in der gesamten Auseinandersetzung. Ein gestörtes Selbstvertrauen, von Verschwörungstheorien befeuerte Rachegefühle, die Hoffnung die eigene Würde bzw. die des Volkes wiederzuerlangen und als „Märtyrer“ ein himmlisches Leben im Paradies zu führen, lassen die Attentäter zum fanatisch-verzweifelten Suizid greifen. Dabei wird der Täter massiv von seiner engsten Umgebung beeinflusst, gestützt und befeuert, ein Vorgang, der umgangssprachlich als Gehirnwäsche bekannt ist. Mittels manipulativer Psychotechniken erfolgt eine mentale Umprogrammierung mit dem Ziel, die Wahrnehmung und Deutungsmuster im Sinne der Manipulatoren zu verändern, kritiklos die neue (ideologische) „Wahrheit“ zu übernehmen und entsprechend zu handeln.

Danach hat der Täter einen aus der Suizidforschung wohlbekannten fanatischen Tunnelblick entwickelt. Sein Ziel – das Attentat - kann durch nichts mehr von außen korrigierend beeinflusst werden. Der Täter glaubt freiwillig und selbstbestimmt zu handeln, doch er ist nicht mehr erreichbar. Er hat nicht mehr die Wahlmöglichkeit, die Tat nicht zu begehen. Im umstrittenen und preisgekrönten Film des palästinensisch-niederländischen Regisseurs Hany Abu-Assad „Paradise Now“ (2014) wird der psychologische Hintergrund zweier zum Attentat in Israel bereiten jungen palästinensischen Männern (Said und Khaled) sehr ausdrucksstark  beleuchtet. Said bleibt im Tunnelblick verhaftet, Khaled kann sich nach einem misslungenen Anschlag lösen.

Solche Gehirnwäschen tauchen heute auch mitten in der deutschen Gesellschaft auf, sie sind keine speziell im muslimischen Kulturkreis verankerten Vorgänge. Man denke an fundamental-christliche oder Psycho-Sekten. Wenn als extrem starkes Gefühl weibliches Verliebtsein im Spiele ist, können sog. Lover-Boys, oft muslimischer Herkunft, schon 12-jährige Mädchen in die Prostitution bringen. Sie treten zunächst als liebevolle und fürsorgliche Don-Juans auf, oft über Chats im Internet, haben Sex mit dem immer stärker isolierten Mädchen und wandeln sich langsam zum gewalttätigen Zuhälter, der allerdings weiterhin eine gemeinsame Zukunft in Liebe verspricht. Drogen und Drohungen tun ein Übriges, etwa Sex-Videos mit dem Opfer zu veröffentlichen, Eltern zu drangsalieren oder die jüngere Schwester zu vergewaltigen.[19] Auch solche Mädchen und sogar noch junge Frauen, Opfer des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung, leben mit einem Tunnelblick. Erst wenn dieser aufgebrochen ist, kann Hilfe möglich sein.[20] Hier ähneln sich Lover-Girls und potenzielle Selbst-Mord-Attentäter: sie sind in eine schädliche oder sogar tödliche Idee verbohrt und nur schwer zu erreichen. Mittlerweile sind übrigens mehrere der Loverboys zu Haftstrafen verurteilt worden.[21]

Der Profit des Täters

Allen Islamisten oder auch Salafisten mit der Steinzeit-Auffassung ihres Qu’ran gilt der „Märtyrertod“ als die höchste der drei Stufen (istishadi) in der islamistischen „Olympiade des Sterbens“ (Pannewick, 2005, S.356), bei der der Täter selbst zum Opfer wird. Eine solche Vereinnahmung des eigenen Kriegsgefangenen-Todes kannten aber auch schon die Kreuzritter, die sich durchaus als christliche Blut-Zeugen verstanden (Schüller, 2010).  Der islamistische Selbst-Mord-Attentäter fühlt sich auf dem Weg in den suizidalen Opfertod vom Qu’ran legitimiert, wo es in Sure 47,4-6 heißt:   „Und denen, die auf dem Weg Gottes getötet werden, ihr Wirken wird nicht umsonst gewesen sein. Er wird sie rechtleiten, alles für sie in Ordnung bringen und sie ins Paradies eingehen lassen, das er ihnen zu erkennen gegeben hat“ (47, 4–6).

Dass dort dann 72 Houri („Jungfrauen mit schwellenden Brüsten“) auf den Schahid warten würden, ist einer späteren Überinterpretation des geschlechtsneutralen Begriffs „Houri“ (Blendendweiße)[22] geschuldet, den der Qu’ran viermal benutzt, neben dreimal großäugigen oder den Männern gleichaltrigen Paradies- und Jungfrauen. Die volkstümliche Zahl „72“ steht dagegen nicht im Qu’ran, sondern nur in der Hadithenliteratur, in der sich zahlreiche erotische Attribute der sinnlichen Liebe im Paradies finden, etwa das der 100-fachen Manneskraft mit permanenter Erektion, schwellenden Brüsten  oder die anregende Vaginen der großäugigen Houri für alle rechtgläubige Männer, nicht nur die „Märtyrer“ – die Frauen dagegen begnügen sich glücklich mit einem Ehemann (Abdel-Samad, 2017).

Nicht nur Islamkritiker, auch die Terror-Kämpfer selbst rekurrieren gern auf das Bild der erotischen Houri. So fand sich beispielsweise im Gepäck der World-Trade-Center-Attentäter von 11.9.2001  eine „Geistige Anleitung“, die ihnen zusicherte, dass sie bereits von den Houri in den Paradiesgärten erwartet würden (Fuess, 2001). Auch der 12-jährige (!) Deutsch-Iraker, der 2016 ein Sprengstoff-Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen - glücklicherweise vergeblich - versucht hatte, gab 2018 als 14-jähriger in einer Zeugenaussage gegen einen Wiener Angeklagten per Videoschalte an, er habe bei der Planung seines Attentats auch auf die versprochenen Jungfrauen im Paradies gehofft.[23] Bleiben abschließend und zusammenfassend die Fragen, ob der suizidale Tod der fundamentalistischen Selbst-Mord-Attentäter unter den Rubriken altruistischer „Märtyrertod“ und „Heldentod“ gefasst werden müsste.

Feig und perfide?

Am 5.4.2003 kam es im Irak zu einem besonders perfiden Attentat auf US-Soldaten durch zwei muslimische Frauen, in diesem Land der erste weibliche Anschlag überhaupt.[25]  Beide Frauen, eine davon „hochschwanger“, verließen ein Auto, und flehten weiter weg befindliche US-Soldaten um Hilfe an.  Als sich die Soldaten hilfsbereit genähert hatten, zündeten die Attentäterinnen die Sprenggürtel. Alle Beteiligten starben, die Soldaten wurden ermordet, „Al-Qaida in Mesopotamien“ übernahm die Verantwortung. Genau nach diesem Muster, schwangeren Frau als unverdächtige Personen vorzuschicken, wurde 1991 auch der indische Ministerpräsident Rajiv Gandhi von einer Tamilen-Tigerin namens Dhanu getötet.[26] Insofern sind bei all solchen Attentaten die Bezeichnungen „Mörder“ oder „Mord“ gerechtfertigt, weil bei den Attentaten eben medienwirksam hinterhältige und feige Tötungen von Unschuldigen gesucht werden und ein Wesensmerkmal der Terroranschläge sind.

Bei Attacken auf feindliche Soldaten in einem asymmetrischen Krieg etwa in Palästina, beim Tyrannenmord  oder im vorstehenden Beispiel könnte man allerdings zu einer anderen Einschätzung gelangen; dennoch bliebe der Vorwurf der Hinterhältigkeit bestehen. Auch reine Autothysien aus politischen Gründen wie etwa bei den Selbstverbrennungen des evangelischen Pfarrers Oskar Brüsewitz (1976) und des tunesischen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi (2011), was erst die „Arabellion“ auslöste,verlangen vielleicht eine andere Beurteilung als bei den Terror-Tätern.

Der Tod der Attentäter wird von politisch oder militärisch interessierter Seite, von den Drahtziehern im Hintergrund, ausgenutzt, angestachelt und als Märtyrertod verklärt. Dabei kann sich leicht auf eine selektive und gewaltverherrlichende Lesart der koranischen Tradition berufen werden.  Insgesamt muss beim fundamentalistischen Selbst-Mord-Attentat nicht nur von Massenmord, sondern von erweitertem Suizid gesprochen werden. Nur wenige muslimische Gelehrte folgen dieser Definition, was in der ethischen Bewertung der „Rechtgläubigen“ weitreichende Folgen hat: Sie glauben Allah hinter sich in ihrem Tun.

Ein west-östlicher Blick

Ein Blick vom humanen west-östlichen Diwan kommt wohl kaum zu einer rechtfertigenden Einschätzung der islamistischen Terrorattacken, sondern wird dieser Autothanasie weder das Prädikat „heldisch“ noch „Märtyrer-Tod“ verleihen können oder wollen.

  • Der islamistische Selbst-Mord-Attentäter stirbt keinen Märtyrertod, weil Märtyrer sich nicht - zumindest nach christlichem oder auch westlichem Verständnis - selbst töten, sondern für ihre Überzeugung getötet werden. Im Gegensatz zum christlichen Märtyrer will der Islamist als Rächer direkt ins Paradies eingehen, der Christ muss als Racheopfer sterben, wird nach christlichem Verständnis allerdings als Blutzeuge ebenso direkt in den Himmel kommen.
  • Der islamistische Terrorist stirbt keinen Heldentod, weil er andere Menschen heimtückisch mordet oder töten will und sich nicht vorbildhaft allein und für einen gute Sache opfert. Er will andere meist völlig Unschuldige gezielt, aber klandestin mit in den Tod reißen. Wenn Helden kämpfen, dann mit offenem Visier.

Die Todeskandidaten des Terrors erliegen nicht dem Martyrium; sie werden weder gefoltert noch getötet, sondern haben den Tod aus angeblich gottwohlgefälliger Überidentifikation mit der Ideologie, aufgrund des manipulierenden Gruppendrucks und evtl. auch einer Gehirnwäsche ihrer (neuen) In-group und der Hoffnung auf ein Leben im Paradies selbst gewählt. Deswegen spricht Arata Takeda im Zusammenhang mit den Attentätern auch von Marionetten, die genau wie die Opfer von Drahtziehern im Hintergrund geopfert würden, manchmal per Fernzünder. Vereinzelt wird sogar vom Einsatz geistig behinderter Frauen berichtet (Takeda, 2012). Mindestens in diesen Fällen kann kaum von Suizid gesprochen werden, sondern hier werden effektive „Einwegwaffen“[24] genutzt und preisgünstige, lebende Bomben geopfert und ermordet. Ein solches Attentat kostet vielleicht 150 Dollar – den toten Selbst-Mord-Attentäter nicht mit eingerechnet.

Terror-Suizid

Das Etikett „Mord“  gilt für alle individuellen islamistische Selbst-Mord-Attentäter etwa mit Messern, Schusswaffen (Zwei tote US-Soldaten, 2011 in Frankfurt) oder Autos wie das Weihnachtsmarkt-Attentat eines ausreisepflichtigen Tunesiers mit einem gekaperten LKW in Berlin 2016[27], aber auch für koordinierte Terrorattacken wie die Todespiloten von 9/11, die Überfälle in Paris (13/11) oder die konzertierten Terrorkommandos in Bagdad, Barcelona, Beirut, Brüssel, Damaskus, Delhi, Kabul, Kairo, London, Madrid, Mali, Manchester, Mombasa, Nairobi, Nizza, Peshāwar, Sousse oder Tunis. Die Liste ist unsäglich lang. Und fast immer werden dabei auch, dem Qu’ran folgend, verbotener Weise "Rechtgläubige" getötet, nicht nur kāfir (Ungläubige). Ideologisch gerechtfertigt wird dieser Widerspruch von den salafistischen Drahtziehern und selbsternannten Theologen, indem die ermordeten Moslems kurzerhand rabulistisch zu Ungläubigen erklärt werden, denn sie würden ja nicht der eigenen (Instant-)Interpretation des Qu’ran folgen.

Rechnete man den  islamistischen sog. Märtyrertod nicht zu den erweiterten Suiziden und benutzte den Begriff „Märtyrer“, will man offensichtlich  den Tod aus religiösen oder politischen Interessen ethisch hoch bewerten, verherrlichen und verklären. Im Totenkult für diese Selbst-Mord-Attentäter und Mörder findet eine solche Glorifizierung seine letzte Ausprägung.

Eingedenk westlich-christlicher Werte und Begründungen im Kanon der Menschenrechte wird sich keine überzeugendere, als eine kritisch-ablehnende Position finden lassen. “A number of different reasons may be advanced to show that suicide bombing is immoral, and indeed of heightened or, one might say, aggravated immorality” (Battin, 2005). Der islamistische schahid könnte - ironisch betrachtet - dem Wortsinn nach durchaus als Märtyrer, als Zeuge, bezeichnet werden, weil er nämlich durch seinen suizidalen Opfertod Zeuge von „erhöhter und verschärfter Unmoral“ ist. Der islamistische Ritual-Mörder  muss als inhumaner, areligiöser und fanatisch-feiger Massenmörder um den Preis auch des eigenen Lebens gelten. Da mit den suizidal verursachten Taten des Ritual-Attentäters Terror ausgeübt werden soll, könnte man auch von einem Terror-Suizid sprechen. Der Qu’ran verbannt bekanntlich einen solchen Selbstmörder ins ewige Höllenfeuer.

Politischer Suizid

Ebenso wie durch einen Bombengürtel kann der eigene Tod auch durch einen (politischen) Hungerstreik versucht werden zu erreichen, eventuell als letzter Ausweg aus einer verzweifelten Situation. Die Beispiele reichen von der Antike (Hooff, 1990) bis in die jüngste Zeit, etwa dem deutschen RAF-Terroristen Holger Meins. Von ihm sagte 2008 der Schauspieler Stipe Erceg, der im Bernd-Eichinger-Film „Baader-Meinhof-Komplex“ den Holger Meins spielt: „Er war ein Märtyrer, das kann man schon so sagen, glaube ich“ (zitiert in: Schüller, 2010, S.90). Mit dem Begriff greift der junge Schauspieler  noch Jahre später ein von der RAF und dem Unterstützerumfeld propagandistisch lanciertes religiöses Narrativ auf, dass dem politisch motivierten Suizid die hagiographische Weihe verleihen soll. Der RAF-Aussteiger Peter Homann schreibt dazu: Die RAF-Mitglieder „suchten den Tod, weil sie sich als Märtyrer begriffen; sie versprachen Erlösung und endeten wie im religiösen Wahn. Die RAF-Terroristen, die vor 25 Jahren in Stammheim starben, hatten manches gemeinsam mit den Selbstmordattentätern des Islam“.[28]

Getroffene Hunde beißen

Beide wollten und wollen ihre „erhöhte und verschärfte Unmoral“ vor dem eigenen Gewissen erträglich machen und auch für andere verständlich: damit Absolution und Nachfolge möglich würden. Wirklich gelungen ist es kaum, das Verständlich- oder Erträglich-Machen des pubertären Ritual-Terrors, nicht mal immer bei den Tätern und Drahtziehern selbst. Dazu schreiten islamistische Unsicherheit, Wut, Hass und Verzweiflung auf selbstgerechtem hohem Kothurn[29] daher. Doch die Attentäter und Drahtzieher vermögen nicht zu sehen, dass der Kaiser nackt ist und ihre Schuhe nichts weiter sind als komische Socci.[30]  Sowohl was die naive Hoffnung der Selbst-Mord-Attentäter, die Selbstverherrlichung und rabulistischen Rechtfertigungen als auch die theologische Primitiv-Ableitung der Masterminds sowie die Pathetik in Wort und Bild anlangt, könnte manch einer der unbefangene Beobachter ob der unfreiwilligen Komik dieser Fanatiker lachen, doch die grauenhaften Taten lassen wohl jedem das Lachen im Halse steckenbleiben.

Nur die Satire scheint hier einen wirkmächtigen Weg aus dem Dilemma zu wissen. Die entlarvenden dänischen Mohammed-Karikaturen 2005 in der Jyllands-Posten wie auch die „Charia-Hebdo-Ausgabe“ des Pariser  Satireblatts „Charlie Hebdo“ von 2.11.2015 unter dem „Gast-Editor Mohammed“ haben genau die Lächerlichkeit islamistischer Terroristen aufgespießt. Auf dem Titelblatt sagt jener „Gast-Editor Mohammed“ mit erhobenem Zeigefinger in der Sprechblase: „100 coups de fouet, si vous n'êtes pas morts de rire!“ (100 Hiebe mit der Peitsche, wenn Du nicht vor Lachen stirbst!)

Schon der Brandanschlag mit einem Molotow-Cocktail 2011 und dann erst recht der martialische Terroranschlag vom 7.1.2015 durch IS-Bekenner auf das Redaktionsbüro des Satireblatts in Paris mit zwölf Toten (!) war die Rache dafür, dass Lächerliches sichtbar gemacht worden war.[31] Dem Lachen preisgegeben bellte der getroffenen Hund furchtbar furchtsam.

Weitere Literatur auf Anfrage

Fußnoten ...........................................................................................................................................................................................................................................................................................



[1] Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (1994). Herzberg: Bautz.

[2] Andere Schimpfworte sind „Christ“, „Ungläubiger“, „Schweinefleischfresser“ oder etwas milder „Kartoffel“ (für Deutsche).
      Für Juden ist das Schimpfwort „Jude“.

[3] www.islamismus.org/seminar-07/vs/islamismus/Muslimbruderschaft.pdf

[7] Nach dem Qu’ran die zweite Rechtsquelle des Islam („Gottes Buch und die Sunna seines Propheten“)

[8] Die Biographie Mohammeds

[9] Erzählungen, Überlieferungen oder Legenden aus dem Leben Mohammeds

[10] = Regelwerk, Weg, Gesetz und Normen, die aus dem Qu’ran und der Sunna abgeleitet werden

[11] Typisch arabisches Kopftuch der Männer zum Sonnenschutz, bei uns gern auch Palestinensertuch genannt

[14] Das Prinzip der erlaubten Täuschung entsprechend Sure 3:28 etwa in der Position der Schwäche im fremden Land

[17] Rechtsgutachten

[18] Das islamische Gesetzeswerk mit seinen beiden Rechtsquellen des Qu’ran und der Sunnah

[22] Steht in keiner etymologischen Beziehung zum deutschen Wort Hure, das auf das mittelhochdeutsche huore zurückgeht. Bedeutung = lieblich, begehrlich, Ehebruch

[23] Rhein-Neckar-Zeitung vom 6.4.2018, S. 11

[24] Die von Bin Laden 20014 in einer Videobotschaft aufgestellte Kostenrechnung, dass jeder von al-Qa’ida in Terroranschläge investierte Dollar „mit Allahs Erlaubnis eine Million Dollar vernichtet“ habe, ist weitgehend korrekt (Takeda, 2012, S.122).

[25] Durch Nusha Mjalli al-Shammari und Widad Jamil al-Duleimi  https://www.heise.de/tp/features/Explosives-Martyrium-3404538.html

[27] Hier soll der Name des Selbst-Mord-Attentäters nicht genannt sein. Dagegen seien 12 Opfer-Tote beklagt: Anna Bagratuni, Georgiy Bagratuni, Sebastian Berlin, Nad'a Čižmár, Dalia Elyakim, Christoph Herrlich, Klaus Jacob, Angelika Klösters, Dorit Krebs, Fabrizia Di Lorenzo, Łukasz Urban (der polnische Fahrer) und Peter Völker.

[29] Schuhe mit extrem hohen Sohlen für Schauspieler in der griechischen Tragödie

[30] Das Schuhwerk in der griechischen Komödie war der leichte „sýkchos“ oder lateinisch Soccus, wovon unsere Worte „Socke“ und „Sockel“  herrühren.